An-gegriffen zu werden – selbst in einer abgesprochenen Übungssituation wie einem Aikido-Training kann dies Stress auslösen. Ein Handgelenk zu fassen ist eine der gebräuchlichsten Angriffsformen. Die Intention des Angreifers („uke“) kann dabei durchaus unterschiedlich sein: von kaum bemerkbarer, geistig abwesender Berührung über das Gefühl, in einer Schraubzwinge gelandet zu sein hin zu einer gleichzeitig kraftvollen und doch achtsamen Kontaktaufnahme, die aufmerksam ist für jegliche Veränderungen beim Partner.
Einen Angriff mit klarer Intention auszuführen und gleichzeitig, quasi im Rück-Kanal die Aktionen des Trainingspartners wahrzunehmen, stellt nicht nur für Anfänger eine Herausforderung dar. Wildes Vorwärtsstürmen kann den Angreifer ziemlich schnell zu Fall bringen, wenn der Verteidiger („tori“) die geballte Angriffsenergie auf uke zurück projiziert. Ein Angriff ohne jegliche Energie verpufft ins Leere und lässt keine wirkliche Interaktion entstehen: wo keine Bedrohung besteht, ist eine Verteidigung nicht notwendig. Erst die richtige Dosierung – jeweils abhängig von den technischen Fähigkeiten und der Tagesform beider(!) Partner – lässt eine gemeinsame Bewegung entstehen, einen harmonischen Dialog zwischen zwei Personen, der im Falle eines Aikido-Angriffs mit einem Wurf oder Hebel endet.
Betrachtet man verbale Interaktionen im beruflichen oder familiären Alltag, lassen sich ähnliche Mechanismen erkennen. Gute Kommunikation findet dann statt, wenn sich die Gesprächspartner aufmerksam, im Idealfall „auf Augenhöhe“ begegnen und ein gegenseitiges Interesse an den Aussagen und Bedürfnissen des anderen besteht. Aggression in seiner neutralen Bedeutung (lat. aggredi – heranschreiten, sich nähern) ist die Voraussetzung für Interaktion. Die Qualität dieser Interaktion hängt sowohl von der Art der Annäherung als auch der Fähigkeit des Gegenübers ab, mit dieser umzugehen. Zuviel Energie, Tempo, Lautstärke… können das Gegenüber überfordern, die Folge ist entweder aggressives Kontern, Zurückweichen oder Erstarren („fight, flight or freeze“).
Eine vierte Möglichkeit bietet eine der Grundbewegungen im Aikido: „tenkan“ – aus der Linie treten und mit einer Drehung die überschüssige Energie erst einmal an sich vorbei laufen lassen, ohne dabei den Kontakt völlig aufzugeben. Anschließend sind die Karten neu gemischt und ein neuer Versuch zur Verständigung möglich.